Dienstag, 9. März 2010

Was schon den Heinrich nervte

Heine muss sich ähnlich gefühlt haben, wie Kaspar auf dem Bild

Neulich, es ging wieder um die Käfigvögel, stolperte ich über diesen Brief von Heinrich Heine: er beschrieb darin das Phänomen eines Berliner Ohrwurms. Ich hatte ja immer gedacht, Ohrwürmer seien zum ersten Mal aus den Radios gekrochen, oder aus diesen Trichtern der Grammophone - aber es gab sie schon sehr viel früher:

"Haben Sie noch nicht Maria von Webers "Freischütz" gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper das "Lied der Brautjungfern" oder kurzweg den "Jungfernkranz" gehört? Nein? Glücklicher Mann!
Wenn Sie vom Hallischen bis zum Oranienburger Tore gehen, hören Sie jetzt immer und ewig dieselbe Melodie, das Lied aller Lieder: den "Jungfernkranz".
Wie man in den Goetheschen Elegien den armen Briten von dem "Marlborough s´en va-t-en guerre" durch alle Länder verfolgt sieht, so werde ich auch von morgens früh bis spät in die Nacht verfolgt durch das Lied: Wir winden Dir den Jungfernkranz...

Bin ich mit noch so guter Laune des Morgens aufgestanden, so wird doch gleich alle meine Heiterkeit fortgeärgert, wenn schon früh die Schuljugend, den "Jungfernkranz" zwitschernd, bei meinem Fenster vorbeizieht. Es dauert keine Stunde, und die Tochter meiner Wirtin steht auf mit ihrem "Jungfernkranz". Ich höre meinen Barbier den "Jungfernkranz" die Treppe heraufsingen. Die kleine Wäscherin kommt "mit Lavendel, Myrt´ und Thymian". So geht´s fort. Mein Kopf dröhnt. Ich kann´s nicht aushalten, eile aus dem Hause und werfe mich mit meinem Ärger in eine Droschke. Gut, daß ich durch das Rädergerassel nicht singen höre. Bei ***li steig´ ich ab. Ist´s Fräulein zu sprechen? Der Diener läuft. "Ja." Die Türe fliegt auf. Die Holde sitzt am Pianoforte und empfängt mich mit einem süßen:

"Wo bleibt der schmucke Freiersmann?
Ich kann ihn kaum erwarten." –

Sie singen wie ein Engel! ruf´ ich mit krampfhafter Freundlichkeit. "Ich will noch mal von vorne anfangen", lispelt die Gütige und sie windet wieder ihren "Jungfernkranz" und windet und windet...".
(Heinrich Heine, Briefe aus Berlin, 16. März 1822)

Auf youtube gibt es mehrere Versionen des Liedes...es ist wirklich furchtbar ohrwürmig.

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